Geschichte der Ansichtskarten



ein Vortrag von Jens Stöcker auf der Austellung dieser Karten am 11. 11. 2001


zurück

 „100 Jahre Postkarten“

 

Ausstellung von rund 90 historischen Postkarten mit Motiven aus der Verbandsgemeinde Bruchmühlbach-Miesau aus der Sammlung Michael Czok im Sitzungssaal des Rathauses von Bruchmühlbach-Miesau vom 11. bis 15. November 2001.

Rede zur Ausstellungseröffnung von Jens Stöcker:

 

 

„Bei einem Eisenbahnunglück sucht der Franzose eine Frauenbekanntschaft. Der Engländer lässt sich in seiner Zeitungslektüre nicht stören und ein Deutscher schreibt Ansichtskarten – notfalls noch im Himmel.“

(Thomas Theodor Heine, 1867-1948)

 

Zu Beginn des 20 Jahrhunderts, das mit Auto und Grammophon seinen Einzug hielt, spielte die Postkarte, vor allem die Bildpostkarte eine bedeutende Rolle.

Für uns sind die meisten alten Bildpostkarten heute zu Kunstwerken geworden. In der Zeit zwischen 1900 und 1914 wurde zum Teil soviel Aufwand an Drucktechnik und Handarbeit für jede einzelne Karte verwendet, dass moderne Karten in ihrer künstlerischen Qualität damit gar nicht vergleichbar sind.

Aber auch einfache Karten konnten als fotographisches Dokument Gebäude und ihre Lage in Ortschaften und Landschaften festhalten. Vielfach ist auch gerade die nicht  so aufwendig gestaltete Bildpostkarte als so etwas wie – ich drücke es einmal etwas pointiert aus – ein  Vorläufer der „Wochenschau“ zu verstehen, indem sie in schier endlosen Reihen, Serien und Propagandakarten alle bedeutenden Ereignisse und Personen sofort festhielt:

Den Absturz eines Zeppelins, den Besuch eines Königs, eines Ministers, eines Bürgermeisters, oder die kaiserlichen Familien, oder Festumzüge, Brände, Neubauten, Einsiedler, bärtige Frauen und andere kleinere und größere Katastrophen.

Eine solche Katastrophe fand auch am 7. Januar 1918 zwischen Bruchmühlbach und Miesau statt, ein großes Eisenbahnunglück. Wie sollte es anders sein: der örtliche Fotograf war bald anwesend und es gab eine Postkarte von dem Ereignis, zu dem sogar ganze Schulklassen geführt wurden.

Eine der Postkarten ist hier zu sehen, mittlerweile eine Rarität, nicht nur für den Postkartensammler, auch für den Eisenbahnkenner.

Postkarten begleiteten außerdem die Anfänge des Fahrrads, des Autos und des Flugzeuges, das damals noch Aeroplan hieß und deshalb lässt sich beispielsweise der Beginn der Luftfahrt so ausgezeichnet mit Bildpostkarten dokumentieren.

 

Zur Geschichte der Postkarte:

Aber woher kommt die Postkarte und wer hat sie erfunden? Im deutschsprachigen Raum entbrannte darüber bereits vor Jahrzehnten ein gewaltiger Meinungsstreit. Da auch in der Wissenschaft kein letzter Konsens über den Erfinder der Postkarte besteht, will ich nur ein paar Dinge hierzu referieren:

Die erste amerikanische Postkarte ohne Ansicht- und Briefmarkenaufdruck erschien nach den Informationen von Wolfgang Till 1861. Der einstige General-Postdirektor des Norddeutschen Bundes und spätere Staatssekretär im Reichssportamt Heinrich von Stefan stellte 1865 als Geheimer Postrat beim preußischen Generalpostamt seine Idee eines „Postblattes“ – wie er die Postkarte nannte –vor:

„Die jetzige Briefform gewährt für eine erhebliche Anzahl von Mitteilungen nicht die genügende Einfachheit und Kürze. […]“

Von Stefans Lösung war: [das] „Postblatt“. „Es hat die Dimension eines gewöhnlichen Briefcouverts größerer Art und besteht aus steifem Papier.  Die Vorderseite würde vorne als Überschrift die Benennung des Postbezirks und eine entsprechende Vignette (Landeswappen) tragen, links einen markierten Rand zum Abdruck des Postaufgabestempels, rechts die Postfreimarke, gleich in das Formular eingestempelt. […] Dann ein Raum für die Adresse  mit dem Vermerk ‚An’ […], sowie die vorgedruckte Notiz: ‚Die Rückseite kann zu schriftlichen Mitteilungen jeder Art benutzt werden ‚ […]“

Dass diese für jedermann lesbar sind und man den Verlust des Postgeheimnisses befürchtete ist wohl einer der Gründe für die Ablehnung des Vorschlages.

 

Keine vier Jahre später forderte der österreichische Ministerialrat Prof. Dr. Emanuel Hermann in der „Neuen Freien Presse“ vom 26. Januar 1869 in dem Artikel „Über neue Art der Correspondenz mittels der Post“ die österreichische Postverwaltung auf, Postkarten herauszugeben. Dieser Vorschlag wiederum traf auf große Zustimmung und am 1. Oktober 1869 wurde unter dem österreichischen Postdirektor Dr. Vincenz Freiherr Maly von Vevanovič die „Correspondenz-Karte“ eingeführt.

Die Postverwaltung des Norddeutschen Bundes führte dann 1870, gleichzeitig mit Baden, Württemberg und Bayern die „Correspondenz-Karte“ ein.

Der Absatz war gewaltig: in den ersten beiden Monaten nach der Einführung waren schon über 2 Millionen davon verkauft.

Fasst man jetzt auch noch zwei Leipziger Buchhändler, Friedlein und Serbe ins Auge, die beide auch Vorschläge für eine Postkarte an das General Postamt richteten, wird die Frage nach dem eigentlichen „Erfinder“ der Postkarte immer schwieriger zu beantworten, vor allem wenn man dann noch in der französischen Zeitschrift „L’Almanach de la Petite Poste“ aus dem Jahr 1777 – also deutlich früher – liest:

„Als Empfehlungen oder Glückwünsche zu den unterschiedlichsten Anlässen verschickt man gegenwärtig durch die Post mit [Kupfer-] Stichen geschmückte Karten, mit für alle Augen lesbaren Mitteilungen. Diese neue Erfindung ist von dem Kupferstecher Demaison und wird viel diskutiert“, ist man vollends verunsichert.

Auch wenn sich von diesen französischen Karten meines Wissen keine überliefert hat, ist dieser Bericht doch bemerkenswert: Ist dies vielleicht sogar schon der Beginn der Ansichtkarte?

Tatsächlich gibt es schon lange vor der Einführung der Postkarte kleine Bildkarten, beispielsweise mit einer Serie von Ansichten Berlins. Ob Karten dieser Art aber jemals mit einer Briefmarke versehen durch die Post versandt wurden, kann ich nicht beantworten.

Eine schöne Version  zur Erfindung der Bildpostkarte rankt sich um den portugiesischen Maler Antonio Olivarez, der sich in den 1860er Jahren unsterblich in ein hübsches Mädchen verliebte. Schnell zeichnete er ein Bild der Angebeteten auf ein Stück Karton, auf die Rückseite des Bildes schrieb er ihre Adresse, klebte eine Briefmarke darauf und warf ihn in einen Briefkasten.

Da allerdings die Portugiesische Post derartige Sendungen nicht gewohnt war, legten sie den Karton zu den Akten statt ihn der Empfängerin weiterzuleiten.

Im allgemeinen verbindet man aber, trotz der vorhin erwähnten Informationen aus dem Jahr 1777, die erste Bildpostkarte mit August Schwarz, der als Hofbuchhändler und Druckereibesitzer in Oldenburg lebte. Am 16. Juli 1870, als Preußen stündlich mit der Kriegserklärung Frankreichs rechnete, hatte König Wilhelm I. die Mobilmachung angeordnet. Um seine Sympathie für die militärischen Maßnahmen gegen Frankreich zu bekunden ließ August Schwarz einige der gerade erst aufgekommenen Correspondenz-Karten mit einem Klischee bedrucken, das einen Artilleristen zeigt, der eine Kanone lädt.  Der Göttinger Ludolf Parisius war 1871 mit einer Geburtstagsglückwunsch-Karte vielleicht der erste, der eine „echte“ Ansichtskarte veröffentlichte.

Und hier beginnt dann eine ganz eigene Geschichte der Ansichtskarten: Es gibt sie in unterschiedlichen Größen und Formen, sie werden in unterschiedlichen Drucktechniken hergestellt: in Holzschnitten, Kupferstichen, Lithographien, Chromolithographien, Prägedruck in Gold und in Silber, in Glanzdruck, in Fotodruck, in Lichtdruck, in Offsetdruck, keine Angst ich werde die Techniken nicht im einzelnen erklären.

 

Insgesamt sind die Ortsansichten (wie sie ja auch hier in einer großen Bandbreite zu sehen sind) eines der frühesten und wohl auch häufigsten Sujets der Ansichtskarten.

Gefördert wurde diese Tendenz sicher durch den beginnenden Reiseverkehr in Europa, allen voran die Bäderreisen und Bildungsreisen auf die sich das mittelständische Bürgertum um 1900 machte, und wo das Schreiben einer Karte als obligate Statushandlung betrachtet wurde.

In diesem Zusammenhang ist sicher auch der Bericht von German Sims zu verstehen, der im Juli 1900 in der englischen Zeitschrift „The Referee“ erschien: „Kürzlich erstieg ich gemeinsam mit einer größeren Gesellschaft den Rigi [in den Schweizer Alpen] . Unmittelbar nachdem wir den Gipfel erklommen hatten, rannt jeder zum nahe gelegenen Hotel und raufte sich um Postkarten. Fünf Minuten später schrieb ein jeder, als ginge es ums liebe Leben. Ich gewann den Eindruck, dass diese ganze Gesellschaft nicht um der Erfahrung selber willen den Berg erstiegen hatte, sondern um eine Postkarte loszuwerden.“

In Deutschland erreichte die Postkartenmanie ihren Höhepunkt wohl um 1903, in England um 1905 und in Amerika um 1908.

Zahlenmäßig ausgedrückt wird das am Beispiel Paris sehr deutlich, wo sich im Jahr 1899 immerhin über 3000 verschiedene Bildmotive auf Postkarten nachweisen lassen und im Jahr 1900 produzierte eine Frankfurter Postkartenfabrik mit nahezu 1200 Angestellten bis zu 100 neue Motive täglich und so ist es nicht verwunderlich, dass nahezu jeder Ort und jedes Dorf, jeder Bahnhof, nahezu jedes Hotel und viele Gaststätten bald ihre „eigene“ Postkarte hatten.

Auch in dieser Ausstellung werden Sie Karten vom Bahnhof Bruchmühlbach zum Beispiel aus den Jahren 1899 oder 1911 finden, oder Bilder der verschiedenen Gaststätten, die natürlich auf der gedruckten Karte ihren „offiziellen“ Namen trugen, was allerdings den regelmäßige Besucher meist verwunderte, kannte er doch seine Stammkneipe viel eher unter einem anderen, allseits bekannten Namen. Im Jahr 1917 gab es auch Ansichtskarten der Schulhäuser und sogar der Lehrerwohnungen in Miesau.

Auf solche Phänomene nahm 1899 ein Artikel im britischen „Standard“ bezug:

„Der reisende Teutone scheint es als eine feierliche Pflicht zu betrachten, von jeder Station seiner Reise eine Postkarte zu schicken, als befände er sich auf einer Schnitzeljagd. Seine erste Sorge, nachdem er ein […]Reiseziel erreicht hat, ist es, ein Gasthaus zu finden, wo er abwechselnd Bier trinkt und Postkarten adressiert“ .... soweit die Sicht des Briten auf unsere Vorfahren.

Den meist recht stereotypen Text, den sonst der Reisende auf die Karte schreiben würde vorwegnehmend, begannen ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Verleger mit der Produktion der uns ja heute noch bekannten „Gruß aus ...“-Karten. Auch hier in der Ausstellung werden sie einige Karten aus den 1920er und 1930er Jahren mit der Aufschrift „Gruß aus Bruchmühlbach“, „Gruß aus Miesau“ oder „Gruß aus „Schmittweiler“ finden.

Anfangs waren es meist Chromolithos, später Fotokarten, auf denen sich in unterschiedlichem Layout verschiedene Motive befinden. Wie auf diesem Weg mehrere Fotos zu einer Postkarte wurden können Sie hier in der Ausstellung beobachten. 

Richtig spannend wird es für den topographisch interessierten Sammler und Postkartenfreund, aber auch für uns Kulturwissenschaftler, wenn auf einer Bildpostkarte nicht nur Schloss Neuschwanstein, der Eifelturm oder die Freiheitsstatue abgebildet sind, die ja meist nur ein statisches Bild vermitteln, sondern auch kleinere Straßen und Ortschaften mit den einzelnen Häusern zu sehen sind.

Ein Beispiel hierfür sind die Postkarten, die nach Bildern des Landschaftsmalers Dreyschütz entstanden sind, eine davon aus dem Jahr 1915 ist hier zu sehen. Die Karte besitzt eine erstaunliche Genauigkeit, was besonders beim Vergleich mit  Fotokarten jüngeren Datums deutlich wird.

Überhaupt ist der Vergleich zwischen einer alten Postkartenansicht und der heutigen Ansicht sehr reizvoll und gibt viele Aufschlüsse über die Veränderung einer Struktur und den Zeitgeist.

Mittlerweile werden unter diesem Aspekt auch schon die Postkarten aus den 60er und den 70er Jahren immer interessanter, vor allem was die Themenwahl angeht. Oder kämen Sie heute auf die Idee mit der Abbildung eines Autobahnabschnitts auf einer Postkarte für die Gemeinde Bruchmühlbach-Miesau zu werben?

Aber auch in der Darstellung typisch volksnaher Szenen liegt eine Stärke der Ansichtskarten. Als volkskundlich Interessierter kann man auf ihnen vieles finden: Haus und Siedlungsformen, die von den hier ausgestellten Karten sehr gut dokumentiert werden, aber auch Trachten, Tanz, Sitten und Gebräuche können Themen von Ansichtkarten sein. Daneben sind ihre Darstellungen  auch für Ortschroniken eine wichtige Quelle, indem sie Jubiläen, den Besuch hoher Persönlichkeiten, die örtliche Industrie und öffentliche Einrichtungen darstellen.

Alle Karten wurden von Michael Czok  beschrieben und mit Angaben zur Technik und zur Datierungen versehen. Ich freue mich eine solche Menge Karten, die viel über die Geschichte der Gemeinde berichten im Original betrachten zu dürfen.

Auch wenn der Text der hier ausgestellten Karten für Sie nicht lesbar ist möchte ich Ihnen zum Abschluss ein Zitat von einer Künstlerkarte um 1900 nicht vorenthalten:

 

„Bin Brief Dir schuldig. Sei geduldig.

Nimm diese Karte mit Bemalung als Abschlagzahlung.“

 

 

Jens Stöcker, jens.stoecker@gmx.de,

Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde,

Benzinoring 6, 67657 Kaiserslautern, J.Stoecker@institut.bv-pfalz.de

 

Literatur in Auswahl:

A. Adam, Greetings from New York. Ausst.Kat. Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich, Zürich 1980.

Altonaer Museum, Bemalte Postkarten und Briefe deutscher Künstler, Ausst. Kat., Hamburg 1962.

Altonaer Museum, Die Bildpostkarte in Deutschland. Auch ein Spiegel ... der Kulturgeschichte, Ausst. Kat. Hamburg 1965.

P.N. Armand und A.M. Thinlot, Dictionaire de la Cartophle Francophone. Herblay 1990.

A. Baeumerth, „Es wimmelt von Fremden aller Nationen“. Ansichtspostkarten aus Homburg 1888-1918. Marburg 1984.

F. Farina, Die verbotene Venus. Erotische Postkarten 1895-1925. Stuttgart 1989.

Eckhard G. Franz und Heinz Joachim Jaensch, Darmstadt-Ansichten und Einsichten auf der Bildpostkarte, Ausst. Stadtarchiv Darmstadt. Dieser nur 22 Seiten umfassende Ausstellungskatalog gibt in einen schönen bebilderten Überblick über die verschiedenen Gattungen und Techniken von Postkarten am Beispiel von Darmstadt.

M. Gebhardt, Ein Hauch von Maiblüte. Postkarten der deutschen Arbeiterbewegung zum 1. Mai. Berlin 1989.

Helmut Hartwig, „Weiter nichts neues andermal Mehr“, Kommunikation per Postkarte, in: Karl Riha (Hrsg.), Massenmedium Bildpostkarte, Bd.1, Siegen 1979. (=Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunkte Massenmedien und Kommunikation an der Gesamthochschule Siegen.)

Horst Hille, Postkarte genügt. Ein kulturhistorisch-philatelistischer Streifzug, Heidelberg 1988.

G. Kaufmann, Volkslebensbilder aus Norddeutschland. Ausst. Kat. Altonaer Museum, Hamburg 1973.

Carl Lauterbach, Anatole Jakovsky, Postkarten-Album ... auch eine Kulturgeschichte, Köln 1960.

W. Mrazek, Künstlerpostkarten aus der Wiener Werkstätte. Salzburg 1977.

K.V. Riedel, Worpsweder Postkarten. Die Samlung Koenemann im Altonaer Museum, in: Jahrbuch des Altonaer Museums in Hamburg 1976/77, Bd. 14/15, S. 99-122.

W. Sonntag, Gruß von der Bahn. Die Eisenbahn auf alten Postkarten. Stuttgart 1978.

Wilhelm Stöckle, Deutsche Ansichten. 100 Jahre Zeitgeschichte auf Postkarten. München 1982.

Wolfgang Till, Alte Postkarten, Sammlerkatalog, Augsburg 1994.

Otto Volz, Wir kommen und schlagen in Scherben. Die Bildpostkarte als Dokumentation eines Zeitgeistes, 2. Weltkrieg 1939-1945, Homburg 1985.